So ist das natürlich übertrieben, und so können wir das auch in der Öffentlichkeit nicht darstellen, fügt er hinzu. Aber die Produktivität steigt in solchem Ausmaß, daß wir mit immer weniger Arbeit immer mehr Autos herstellen können. Damit wir den Beschäftigungsstand auch nur halten können, müßten die Märkte enorm expandieren. Nur wenn wir in alle Winkel der Welt unsere Autos verkaufen, besteht überhaupt eine Chance, die vorhandenen Arbeitsplätze zu sichern.
Der Kapitalismus schafft die Arbeit ab. Arbeitslosigkeit ist kein Randschicksal mehr, sie betrifft potentiell alle und die Demokratie als Lebensform. Der globale Kapitalismus, der die Verantwortung für Beschäftigung und Demokratie abstreift, untergräbt so die eigene Legitimität. Die Folge ist, daß die Zukunft der Demokratie neu begründet werden muß.
In dem als Beschäftigungsland hochgelobten Großbritannien ist beispielsweise nur ein Drittel der erwerbsfähigen Bevölkerung im klassischen Sinne vollbeschäftigt (in Deutschland sind es noch über 60 Prozent). Vor 20 Jahren waren es in beiden Ländern über 80 Prozent. Was als Heilmittel gilt - die Flexibilisierung der Erwerbsarbeit -, hat die Arbeitslosigkeit lediglich verdeckt, aber nicht behoben. Im Gegenteil. Alles nimmt zu: die Arbeitslosigkeit und die neue Unübersichtlichkeit von Teilzeitarbeit, ungesicherte Beschäftigungsverhältnisse und die noch stille Arbeitsreserve. Tatsächlich schwindet das Volumen der Erwerbsarbeit rapide. Was sich da ankündigt; ist ein Kapitalismus ohne Arbeit.
Drei Mythen schirmen die öffentliche Debatte gegen die Einsicht in diese Lage ab:
Es geht längst nicht mehr um die Umverteilung von Arbeit. Es geht um die Umverteilung von Arbeitslosigkeit. Dies gilt besonders für die sogenannten Beschäftigungsparadiese USA und Großbritannien. Viele versuchen, sich diese Situation schönzureden mit dem Argument, daß mit jeder Krise die Suppe der Arbeitsgesellschaft sowieso immer dünner werde und daß große, stetig wachsende Teile der Bevölkerung nur noch unsichere Jobs haben, die eine dauerhafte Existenzsicherung kaum noch gewährleisten können. Politiker, Institutionen, auch wir selbst sind aber nach wie vor in der fiktiven Begriffswelt der Vollbeschäftigung befangen. Sogar Bausparkassen und Versicherungen tätigen Abschlüsse in der Annahme, daß »beschäftigte« Menschen über ein dauerhaftes Einkommen verfügen. Das sich rapide ausbreitende »weder-noch« - weder arbeitslos noch sicheres Einkommen - paßt nicht ins Klischee.
Viele glauben, daß die Dienstleistungsgesellschaft uns vor dem bösen Drachen Arbeitslosigkeit erretten werde. Das ist der Dienstleistungs-Mythos. Rechnungen und Gegenrechnungen haben ihren Zukunftstest noch vor sich. Gewiß werden neue Arbeitsplätze entstehen. Zunächst aber werden die traditionell sicheren Beschäftigungskerne im Dienstleistungsbereich einer jetzt erst anlaufenden Automatisierungswelle geopfert.
Zum Beispiel wird Telebanking zur Schließung von Filialen im Bankgewerbe führen; die Telekom will mit dem Ausbau ihres Angebots zirka 60 000 Stellen einsparen; ganze Berufe, die der Schreibkräfte etwa, können verschwinden.
Und wenn neue Arbeitsplätze entstehen, können diese im Informationszeitalter leicht überallhin verlagert werden. Viele Firmen - jüngstes Beispiel American Express siedeln ganze Verwaltungsabteilungen in Billiglohnländern (hier Südindien) an. Tatsächlich lautet - im Widerspruch zu jenen Propheten der Informationsgesellschaft, die einen Überfluß an hochbezahlten Jobs sogar für Leute mit einfachen Ausbildungen voraussagen - die ernüchternde Wahrheit, daß zahlreiche Arbeitsplätze selbst in der Datenverarbeitung schlechtbezahlte Routinetätigkeiten sein werden. Die Fußsoldaten der Informationsgesellschaft, schreibt der Volkswirtschaftler und ehemalige Arbeitsminister der Clinton- Administration, Robert Reich, sind Horden von Datenverarbeitern, die in Hinterzimmern an weltweit mit Datenbanken verbundenen Computer-Terminals sitzen.
Die größte Illusion dieser Debatte ist allerdings der Kosten- Mythos. Mehr und mehr Menschen werden angesteckt von der Überzeugung, daß nur eine radikale Absenkung der Arbeitskosten und -löhne aus dem Jammertal der Arbeitslosigkeit herausführe. Hier leuchtet der »amerikanische Weg«. Vergleicht man aber die USA mit Deutschland, so zeigt sich, daß das »Beschäftigungswunder« so wunderbar gar nicht ist. Arbeitsplätze für Hochqualifizierte, die auch noch sicher und gut bezahlt sind, entstehen mit 2,6 Prozent in den USA genauso selten wie in dem Spitzenlohnland Deutschland (OECD-Statistik vom April 1996).
Der Unterschied liegt im Zuwachs an unqualifizierten und schlecht bezahlten Jobs. Noch (!) wird es aber bei uns als Problem empfunden, daß Menschen tagsüber für sagen wir - sieben Mark pro Stunde arbeiten und nachts in Pappkartons schlafen. Auch ein Vergleich der Arbeitsproduktivität entzaubert die amerikanische »Lösung«. In den USA ist sie in den letzten 20 Jahren nur um 25 Prozent gestiegen, in Deutschland dagegen um 100 Prozent. »Wie schaffen das die Deutschen nur?« fragte jüngst ein amerikanischer Kollege. »Sie arbeiten am wenigsten und produzieren am meisten.«
Genau darin zeigt sich das neue Produktivitätsgesetz des globalen Kapitalismus im Informationszeitalter. Immer weniger gut ausgebildete, global austauschbare Menschen können immer mehr Leistungen und Dienste erbringen. Wirtschaftswachstum bedeutet also nicht mehr den Abbau von Arbeitslosigkeit, sondern den Abbau von Arbeitsplätzen - jobless growth. Doch niemand täusche sich: Der Nur-noch-Eigentümer-Kapitalismus, der auf nichts als Gewinn zielt und die Beschäftigten, den (Sozial-) Staat und die Demokratie ausgrenzt, hebt seine eigene Legitimität auf.
Während die Gewinnspannen global agierender Unternehmen wachsen, entziehen diese den teuren Staaten beides: Arbeitsplätze und Steuerleistungen und bürden die Kosten der Arbeitslosigkeit und der entfalteten Zivilisation den anderen auf. Zwei chronisch Arme, die öffentlichen und die privaten Hände der noch Beschäftigten, sollen allein finanzieren, was auch die reichen genießen: den »Luxus« der Zweiten Moderne - hochentwickelte Schulen und Universitäten, funktionierende Verkehrssysteme, die Buntheit des urbanen Lebens.
Wenn der globale Kapitalismus in den hochentwickelten Ländern aber den Werte-Kern der Arbeitsgesellschaft auflöst, zerbricht ein historisches Bündnis zwischen Kapitalismus, Sozialstaat und Demokratie. Die Demokratie ist in Europa und den USA als Arbeits- Demokratie entstanden: Der Bürger mußte so oder so sein Geld verdienen, um die politischen Freiheitsrechte mit Leben zu füllen. Erwerbsarbeit begründete stets nicht nur die private, sondern auch die politische Existenz. Es geht also nicht »nur« um Millionen Arbeitslose, nicht nur um den Sozialstaat, um die Verhinderung von Armut oder um Gerechtigkeit. Es geht um alle, um die politische Freiheit und Demokratie in Europa.
Erschienen in und genommen aus FIFF-Kommunikation 4/97
FIFF-Home-Page:
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Zur Kritik an dieser Position siehe the de003 manpage.