Von Beck bis zum grünen Stadtentwicklungssenator Willfried Maier in Hamburg, von der Bremer ,Querdenkerin' Sibylle Tönnies bis zum Club of Rome, der Ausgangspunkt ist immer derselbe: Ar beitslosigkeit ist in erster Linie eine gesellschaftliche und individuelle `Krankheit'. Sie löst den `Zusammenhang zwischen Kapitalismus und politischer Demokratie' auf (Beck), führt zum Verlust von `Gemeinschaftlichkeit und Bürgersinn' (Maier) und ist für die Individuen ein `pathologischer Zustand' (Tönnies). Der merapievorschlag gegen die `Krise der Arbeitsgesellschaft' ist simpel und folgerichtig: mehr Arbeit. Jenseits von Staat und Markt, im `Dritten Sektor' (so der US-amerikanische Wirtschaftsjoumalist Jeremy Rifkin), sollen nützliche Dinge und Dienstleistungen für das `Gemeinwesen' und für die individuelle Sinnfindung und `Wiedergewinnung der Würde' (Tönnies) hergestellt werden. Ulrich Beck sieht dabei in den neuen `Gemeinwohl ArbeiterInnen' den Prototyp für einen neuen `solidarischen Individualismus', und der Grüne Willfried Maier erkennt gar `Elemente des Kommunismus', wenn Bürgerinnen und Bürger in freiwilligem Engagement das Gemeinwesen täglich neu herstellen.
Dabei soll es sich erklärtermaßen um Arbeit `jenseits der Lohnar beit' handeln. `Richtige Arbeit' ja, aber nicht über einen Arbeitsmarkt vermittelt. Nach Ulrich Beck soll die `Bürgerarbeit' zwar be-, aber nicht entlohnt werden. `Bezahlte Arbeit ist in unserer Gesellschaft zu einem Wert an sich geworden', beschwert er sich gegenüber der TAZ. Konsequenterweise soll daher auch unbe zahlte Arbeit die Weihen `richtiger Arbeit' erhalten. Statt eines ordentlichen Lohnt gibt es eine Grundsicherung zum Sozialhilfesatz plus ideelle Anerkennungen. Ansonsten aber soll die Arbeitskraft strikt ehrenamtlich verausgabt werden. Eine Konstruktion, der selbst bürgerliche Ökonomen nicht unbedingt folgen wollen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) merkt zurecht an, daß man sich entscheiden müsse: Entweder ist `Bürgerarbeit' Arbeit oder nicht. Wenn ja, müsse man sie auch `mit einem normalen Lohn vergüten'. Anderenfalls würde sie lediglich einen neuen Billig-Lohn-Sektor eröffnen (TAZ, 28./29.3.1998).
`Bürgerarbeit' will erklärtermaßen auf eine keynesianisch- sozialstaatliche Organisation gesamtgesellschaftlicher Verant wortung verzichten. Der Rückzug des Staates aus sozialen und öffentlichen Dienstleistungen wird ausdrücklich begrüßt. Bereits der Bericht der `Zukunftskommission der Freistaaten Sachsen und Bayern', in der Ulrich Beck zusammen mit dem konservativen Chefideologen Meinard Miegel tätig war, fordert nachdrücklich die Zurücknahme staatlicher Aktivitäten. Und in dem erwähnten TAZ- Interview heißt es ebenfalls unmißverständlich: `Tätigkeiten, die bisher staatlich organisiert waren, tollen mit stärkerer Eigeninitiative von Bürgern wahrgenommen werden', und zwar `Aufgaben in zentralen gesellschaftlichen Bereichen'. Auch Willfried Maler verspricht: `Gemeinwesenarbeit verbilligt und ver schlankt den Staat.' Angesichts knapper staatlicher Mittel müssen `liegengebliebene Arbeiten' eben in Gemeinwesenarbeit erledigt werden. Die Logik ist bestechend: Die arbeitslosen ErzieherInnen, LehrerInnen oder AltenpflegerInnen arbeiten eben ehrenamtlich, unentgeltlich und ohne Tarifrechte in den Kitas, Schulen und Pflegeeinrichtungen, aus denen sie vorher rausgeflossen sind oder in die sie gar nicht erst übernommen wurden. Oder noch besser: Es werden erst gar keine Kitas, Abenteuerspielplätze u.ä. einge richtet. sondem die (arbeitslosen) Eltern organisieren diese in eigener Regie. `Bürgerarbeit' ist somit eine Variante der Auslagerung - i.d.R. staatlich organisierter - öffentlicher Aufgaben in einen völlig deregulierten Null-Lohn-Sektor.
Öffentliche Dienstleistungen sind prinzipiell allen zugänglich. Ihre Regelungen beruhen auf transparenten und geregelten Verfahren und haben oft genug einen einklagbaren Anspruchscharakter. Dieter Emig beschreibt in der AKP 4/1997 sehr nachdrücklich, wie die Verlagerung auf `Bürgerarbeit' hier zu einer Privatisierung der besonderen Art führen kann. Denn jetzt ist nicht mehr geklärt, wer diese in `Bürgerarbeit' erstellten Dienstleistungen nutzen darf. Was ist mit denjenigen, die sich nicht so sehr engagiert haben, z.B. beim Bau oder Umbau eines Kindergartens in Eigenregie nicht mitgemacht haben? Ist es dann Zufall, wenn deren Kinder auf der Warteliste immer überrundet wer den? Oder ist es Zufall, wenn nicht-deutsche Kinder irgendwie keine Chance in diesem Kindergarten haben? In dem Kin dergartenbeispiel wird es bei den zeitraubenden Elternbesprechungen und Arbeitseinsätzen nicht lange dauern, bis eine Beteiligungselite übrigbleibt. Wer sich Engagement leisten kann, bestimmt über die mit, die nicht können oder wollen. Wer gehört zur `Gemeinschaft', zum `Gemeinwesen' oder auch bloß zum `Projekt' und wer nicht? Und wer entscheidet das? Im Konzept `Bürgerarbeit' werden die Mechanismen von Ausschluß und Ausgrenzung nicht nur bis in den gesellschaftlichen Mikrokosmos hinein verlängert und radikalisiert, sie werden auch informalisiert. Es entsteht ein `common sense' der ehrenamtlichen Aktivistlnnen, der letztlich durch deren Selbstinteresse definiert ist. Der `solidarische Individualismus' eines Ulrich Beck ist eben nicht gleichbedeutend mit gesamtgesellschaftlicher Verantwortung, die über das eigene Projekt, den eigenen Straßenzug oder das eigene Stadtviertel hinausdenkt. Die Mit telschichtsfixiertheit dieses Modells von `Gemeinwesenarbeit' korrespondiert auffällig mit der `Kommunitarismuswelle' und dem `Gemeinwesenegoismus' der weißen, wohlhabenderen Vorortbevölkerung US-amerikanischer Großstädte (auch WASP's genannt: White Anglo-Saxon Protestant). Hier wird das gutbürger liche `Gemeinwesen' nicht selten zur Festung, gesichert durch eine Mischung aus privaten Wachdiensten und sozialer Kontrolle; ein Effekt von `Gemeinwesenarbeit', mit dem auch Willfried Maier Kriminalität eindämmen möchte.
Daß im Rahmen der `Bürgerarbeit' auch der Standard der öffentlichen Aufgaben und Dienstleistungen sinkt, wird billigend in Kauf genommen: Welcher kommunale Kämmerer würde nicht z.B. bei den Bauvorschriften beide Augen zudrücken, wenn ihm eine Bürgerinitiative in Eigenarbeit einen Kindergarten vor die Türe stellt und er so die bundesgesetzliche Kindergartenplatzgarantie erfüllen kann! Willfried Maler will seine Gemeinwesenarbeit ausdrücklich als unbezahlte Arbeit mit niedriger Produktivität verstanden wissen. Auf die Arbeitsergebnisse käme es dabei gar nicht so sehr an. Inspiriert von Tauschringen und anderen Erscheinungen einer neuen informellen Überlebensökonomie, sollen in Eigenregie Produkte und Dienstleistungen erstellt und getauscht werden, die zwar nicht allen Qualitätsstandards entsprechen, dafür aber eben umsonst sind. Als Hamburger Stadtentwicklungssenator sieht er hier eine Alternative für die Unterversorgung großstädtischer Armutsquartiere. Deutlicher kann eine Vision von zwei Klassen sozialer und anderer Dienstleistungen nicht formuliert werden: Während diejenigen, die es sich leisten können, professionell erstellte, öffentliche Dienstleistungen kaufen können (z.B. gut ausgestattete und kompetente Pflegeeinrichtungen), werden die anderen auf die labilen Netze des informellen Sektors und auf Leistungen minderer Qualität verwiesen.
Zumindest im freiwilligen Teil des Gemeinwohlsektor in der BRD wird dieses postmoderne Job-Wunder aber wohl kaum stattfinden. Wie bereits erwähnt, wird zwar in Vereinen, Wohlfahrtsverbänden, Kirchen und Initiativen in erheblichem Maße unbezahlte, ehrenamt liche Arbeit geleistet. Wie das DIW feststellt, aber nahezu ausschließlich komplementär zur Lohnarbeit, in der Freizeit. Wenn dieser Sektor also überhaupt Erwerbslose erreicht, dann noch am ehesten AkademikerInnen. Schon Becks Figur des `Gemeinwohlunternehmer' orientiert sich eher an einem Franz Beckenbauer, der sich ehrenamtlich der Kampagne `Keine Macht den Drogen' verschreibt, als an der Lebenssituation und den Bedürfnissen einer durchschnittlichen erwerbslosen Mutter oder eines Bezieher von Sozialhilfe. Je konkreter die Vorschläge zu einem Sektor `öffentlicher Arbeit' werden, desto mehr verlassen sie die luftigen Höhen mittelschichtsorientierter Ehrenamtlichkeit und landen in den Niederungen des realexistierenden staatlichen Arbeitsmarktes und der `gemeinnützigen Arbeit'.
Unter- und nichtbezahlte `Bürgerarbeit' wird von Erwerbslosen und SozialhilfeempfängerInnen heute in einer Vielzahl staatlicher Beschäftigungsmaßnahmen geleistet. Außer daß der `Lohn' in diesen Einrichtungen selten über dem Sozialhilfesatz liegt, haben alle Maßnahmen die Eigenschaft gemeinsam, daß sie mehr oder weniger verdeckte Zwangsveranstaltungen sind. Formal haben zwar auch Erwerbslose und SozialhilfeempfängerInnen das Recht, Arbeitsangebote abzulehnen, die Strafe folgt allerdings auf dem Fuße: Sperrzeiten beim Arbeitsamt und Kürzungen bei der Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Immer mehr Kommunen folgen den `Modellen' aus Leipzig und Lübeck und verpflichten BezieherInnen von Sozialhilfe zu sog. `gemeinnütziger Arbeit': Laubharken in öffentlichen Grünanlagen, Säuberung von Wegen, Straßen und Plätzen etc. für zwei DM die Stunde. Eine Weigerung kann die vollständige Einstellung von Sozialhilfezahlungen zur Folge haben. In Hamburg fordert die CDU Jahr um Jahr die Wiedereinführung dieser `gemeinnützigen Arbeit', und auch die SPD hat sich solchen Maßnahmen gegenüber auf ihrem letzten Landesparteitag aufgeschlossen gezeigt So kommt es nicht von ungefähr, wenn Stadtentwicklungasenator Maler in höchsten Tönen die Initiative eines Geschäftsmannes lobt, der SozialhilfeempfängerInnen um sich scharte, um gegen eine `geringe Aufwandsentschädigung' eine größere, öffentliche Grünfläche zu säubern. Für Willfried Maier ein Paradebeispiel für `Gemeinwesenarbeit' und eine `Bürgerinitiative neuen Typs'. Und mittlerweile kann auch das Arbeitsamt Erwerbslose zu gemeinnütziger Arbeit verdonnern: Im Kreis Nienburg müssen zur Zeit Erwerbslose zum Spargelstechen antreten. Ulrich Beck und auch Jeremy Rifkin werden nicht müde, die Freiwilligkeit von `Bür gerarbeit' zu betonen. Sie unterlassen es jedoch tunlichst, die rechtlichen Rahmenbedingungen des Bundessozialhilfegesetzes oder des Arbeitsüörderungsgesetzes in Frage zu stellen bzw. überhaupt zu thematisieren. In dem Maße aber, wie diese Tätigkeiten mit den sozialhilferechtlichen Instrumentarien umgesetzt werden sollen, kommen sie über den Status ordinärer `gemeinnütziger Arbeit' für SozialhilfeempfängerInnen nicht hinaus: freiwillig ja, aber unter der Drohung, bei Weigerung staatliche Leistungen zu entziehen.
Im Tönnies'schen Arbeitsdienst sollen vor allem Jugendliche auf der Basis der bereits jetzt möglichen `gemeinnützigen Arbeit' des Bundessozialhilfegesetz umsonst für das Gemeinwohl arbeiten und `Gemeinschaft erleben'. Postmodern heißt das Ganze dann nicht mehr `Arbeitsdienst', sondem `Erlebnisdienst', und statt Volkslieder am Lagerfeuer gibt's abends Disco. Ins selbe Horn stößt Hans-Eckehard Bahr, Leiter des Forschungsprojekts `Jugendgewalt und Stadtfrieden' (sic!) an der Ruhr-Universität Bochum. Er fordert ein verbindliches, soziales und ökologisches Engagement, denn `wissen wofür man lebt', ist die Losung der Stunde. Zivildienst und Soziales Jahr sind für ihn die Keimzellen `einer (zivilen) staatsbürgerlichen Dienstpflicht für Männer und Frauen.' Dem neuen Charme der Zwangsarbeit können bei soviel wissenschaftlicher Querdenkerei auch grüne PolitikerInnen nicht mehr widerstehen. So bringt der rechtspolitische Sprecher der bündnisgrünen Bundestagsfraktion, Volker Beck, die `gemeinnützige Zwangsarbeit' als strafrechtliches Sanktionsinstrument ins Gespräch (Die `work camps' US-amerikanischer Knäste lassen grü ßen!>. Und auch Willfried Maier möchte seine `Gemeinwesenarbeit' am liebsten als Pflichtdienst - mit einem `Ehrensold' - organisiert sehen. In der Arbeitspflicht für alle sieht Maler allen Ernstes die `Verwirklichung sozialistischer Organisationsprinzipien' und das Prinzip `Sozialismus statt Sozialstaat'.
Das Konzept der `Bürgerarbeit' oder `öffentlichen Arbeit' entpuppt sich gerade mit dem Versprechen, Arbeitslosigkeit beseitigen zu wollen, als eine Kampfansage an Erwerbslose, SozialhilfeempfängerInnen und Arme. Wenn Erwerbslosigkeit in erster Linie als gesellschaftliche und individuelle `Krankheit' interpretiert wird, wird `Arbeit an sich' zu einem therapeutischen Instrument. Es geht dann weder um individuelle Bedürfnisse, Einkommen, Arbeitsbedingungen, ArbeitnehmerInnenrechte usw., sondem nur noch um die therapeutische Beseitigung pathologischer Zustände. Arbeit oder, genauer, irgendeine Form von Beschäftigung wird so zu einem Beitrag der `Volksgesundheit'. Gleichzeitig zementiert die `Ge meinwohlarbeit' die Verpflichtung zum `Dienst an der Gemeinschaft' als Voraussetzung für staatliche Transferzahlungen. Selbst die minimalste Existenzsicherung muß erst einmal `verdient' werden. Es ist vor diesem Hintergrund wenig erstaun lich, daß `gemeinnützige Arbeit' als allgemeine Arbeitsverpflichtung gerade in den `Mutterländern' der `Bürgerarbeit', den USA und Großbritannien, zentraler Bestandteil der `Sozialhilfereformen' ist.
Dk
Erschienen in und entnommen aus ak 414 (7.5.1998)
Zum kritisierten Gegenstand siehe the de001 manpage.