Neue Arbeit braucht das Land


Zum neuen Boom der Ehrenamtlichkeit

[COMMUNITAS] Ein Gespenst geht um in Europa, das Gespenst der Arbeitslosigkeit postmoderne Soziologen und PolitikerInnen fürchten dabei nicht so sehr die damit verbundene Verarmung, sondern den drohenden Zer fall der `Arbeitsgesellschaft'. Doch die innovativen Ghost Busters haben bereits neue Wunderwaffen parat, mit denen individuellen Sinnkrisen und dem Verlust gesellschaftlicher Solidarzusammenhänge zu Leibe gerückt werden soll: `gemeinnützige Arbeit', `ehrenamtliche Arbeit', `Arbeit für das Gemeinwesen' oder - so die jüngsten Kreationen des Münchner Soziologen Ulrich Beck - `Bürgerarbeit' und `öffentliche Arbeit'.

Von Beck bis zum grünen Stadtentwicklungssenator Willfried Maier in Hamburg, von der Bremer ,Querdenkerin' Sibylle Tönnies bis zum Club of Rome, der Ausgangspunkt ist immer derselbe: Ar beitslosigkeit ist in erster Linie eine gesellschaftliche und individuelle `Krankheit'. Sie löst den `Zusammenhang zwischen Kapitalismus und politischer Demokratie' auf (Beck), führt zum Verlust von `Gemeinschaftlichkeit und Bürgersinn' (Maier) und ist für die Individuen ein `pathologischer Zustand' (Tönnies). Der merapievorschlag gegen die `Krise der Arbeitsgesellschaft' ist simpel und folgerichtig: mehr Arbeit. Jenseits von Staat und Markt, im `Dritten Sektor' (so der US-amerikanische Wirtschaftsjoumalist Jeremy Rifkin), sollen nützliche Dinge und Dienstleistungen für das `Gemeinwesen' und für die individuelle Sinnfindung und `Wiedergewinnung der Würde' (Tönnies) hergestellt werden. Ulrich Beck sieht dabei in den neuen `Gemeinwohl ArbeiterInnen' den Prototyp für einen neuen `solidarischen Individualismus', und der Grüne Willfried Maier erkennt gar `Elemente des Kommunismus', wenn Bürgerinnen und Bürger in freiwilligem Engagement das Gemeinwesen täglich neu herstellen.

Dabei soll es sich erklärtermaßen um Arbeit `jenseits der Lohnar beit' handeln. `Richtige Arbeit' ja, aber nicht über einen Arbeitsmarkt vermittelt. Nach Ulrich Beck soll die `Bürgerarbeit' zwar be-, aber nicht entlohnt werden. `Bezahlte Arbeit ist in unserer Gesellschaft zu einem Wert an sich geworden', beschwert er sich gegenüber der TAZ. Konsequenterweise soll daher auch unbe zahlte Arbeit die Weihen `richtiger Arbeit' erhalten. Statt eines ordentlichen Lohnt gibt es eine Grundsicherung zum Sozialhilfesatz plus ideelle Anerkennungen. Ansonsten aber soll die Arbeitskraft strikt ehrenamtlich verausgabt werden. Eine Konstruktion, der selbst bürgerliche Ökonomen nicht unbedingt folgen wollen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) merkt zurecht an, daß man sich entscheiden müsse: Entweder ist `Bürgerarbeit' Arbeit oder nicht. Wenn ja, müsse man sie auch `mit einem normalen Lohn vergüten'. Anderenfalls würde sie lediglich einen neuen Billig-Lohn-Sektor eröffnen (TAZ, 28./29.3.1998).


Schlanker Staat durch Bürgerarbeit

Was dieser `Dritte Sektor' oder `Gemeinnützigkeitssektor' im einzelnen umfaßt, bleibt meistens diffus. Er kann vom gesamten Bereich der frei-gemeinnützigen Wohlfahrt über Selbsthilfeinitiativen und gemeinnützige Arbeit unter staatlicher Regie (von ABM bis Arbeit für SozialhilfeempfängerInnen) bis hin zu Tauschringen, Nachbarschaftshilfe und allen Formen der Schattenökonomie reichen. Die Erosion des `Normalarbeitsverhältnisse', staatliche Arbeitsmarktpolitik und der Rückzug des Staates aus den sozialen und öffentlichen Dienstleistungen haben in der Bundesrepublik bereits in erhebli chem Umfang einen `Dritten Sektor' hervorgebracht. Nach Schätzungen des DIW ist jedeR dritte Erwachsene ehrenamtlich tätig. Hundertausende SozialhilfeempfängerInnen leisten `gemeinnützige Arbeit', und ebenfalls mehrere hunderttausend Erwerbslose stecken in ABM- und anderen Maßnahmen der Sozial- und Arbeitsämter, in denen sie `zusätzliche' Arbeiten im `öffentlichen Interesse' verrichten. Aus den unterschiedlichen sozialen Protestbewegungen ist eine Nischen- und Überlebensökonomie entstanden; aus HausbesetzerInnen wurden alternative Planungsbüros, aus Erwerbsloseninis Be schäftigungsträger. Und nicht zuletzt schätzt das Bundesministerium für Arbeit (BMA), daß der Bereich der Schwarzarbeit allein mehrere hunderttausend Putz-, Pflege- und Babysittingjobs beinhaltet. Trotz seiner quantitativen Bedeutung ist es diesem `Dritten Sektor' bisher offensichtlich weder gelungen, die Erwerbslosigkeit zu beseitigen, noch neue Formen von Gesellschaftlichkeit zu produzieren.

`Bürgerarbeit' will erklärtermaßen auf eine keynesianisch- sozialstaatliche Organisation gesamtgesellschaftlicher Verant wortung verzichten. Der Rückzug des Staates aus sozialen und öffentlichen Dienstleistungen wird ausdrücklich begrüßt. Bereits der Bericht der `Zukunftskommission der Freistaaten Sachsen und Bayern', in der Ulrich Beck zusammen mit dem konservativen Chefideologen Meinard Miegel tätig war, fordert nachdrücklich die Zurücknahme staatlicher Aktivitäten. Und in dem erwähnten TAZ- Interview heißt es ebenfalls unmißverständlich: `Tätigkeiten, die bisher staatlich organisiert waren, tollen mit stärkerer Eigeninitiative von Bürgern wahrgenommen werden', und zwar `Aufgaben in zentralen gesellschaftlichen Bereichen'. Auch Willfried Maler verspricht: `Gemeinwesenarbeit verbilligt und ver schlankt den Staat.' Angesichts knapper staatlicher Mittel müssen `liegengebliebene Arbeiten' eben in Gemeinwesenarbeit erledigt werden. Die Logik ist bestechend: Die arbeitslosen ErzieherInnen, LehrerInnen oder AltenpflegerInnen arbeiten eben ehrenamtlich, unentgeltlich und ohne Tarifrechte in den Kitas, Schulen und Pflegeeinrichtungen, aus denen sie vorher rausgeflossen sind oder in die sie gar nicht erst übernommen wurden. Oder noch besser: Es werden erst gar keine Kitas, Abenteuerspielplätze u.ä. einge richtet. sondem die (arbeitslosen) Eltern organisieren diese in eigener Regie. `Bürgerarbeit' ist somit eine Variante der Auslagerung - i.d.R. staatlich organisierter - öffentlicher Aufgaben in einen völlig deregulierten Null-Lohn-Sektor.


`Bürgerinitiativen neuen Typs'

Wahrend für Beck der `Gemeinwohl-Untemehmer' alt `Mischung von Bill Gates und Mutter Teresa' zur zentralen Figur der `Bürgerarbeit' wird, träumt Willfried Maler alt Grüner mit Bewegungserfahrung von `Bürgerinitiativen neuen Typs'. Ihm schweben Initiativen vor, die nicht mehr gesellschaftliche Mißstände skandalisieren (Anti-AKW-Inis), in `gewerkschaftlicher Orientierung' Forderungen an den Staat stellen oder gar diese Gesellschaft kritisieren und überwinden wollen, sondem die alt reine Selbsthilfeinitiativen die `liegengebliebenen Arbeiten' erledigen, ohne staatliche Fördermittel zu beanspruchen. Ja, die in `kreativer Eigeninitiative' Kindergärten, Schulen, Wohnraum, Gesundheitsversorgung und Pflege sogar billiger produzieren können.

Öffentliche Dienstleistungen sind prinzipiell allen zugänglich. Ihre Regelungen beruhen auf transparenten und geregelten Verfahren und haben oft genug einen einklagbaren Anspruchscharakter. Dieter Emig beschreibt in der AKP 4/1997 sehr nachdrücklich, wie die Verlagerung auf `Bürgerarbeit' hier zu einer Privatisierung der besonderen Art führen kann. Denn jetzt ist nicht mehr geklärt, wer diese in `Bürgerarbeit' erstellten Dienstleistungen nutzen darf. Was ist mit denjenigen, die sich nicht so sehr engagiert haben, z.B. beim Bau oder Umbau eines Kindergartens in Eigenregie nicht mitgemacht haben? Ist es dann Zufall, wenn deren Kinder auf der Warteliste immer überrundet wer den? Oder ist es Zufall, wenn nicht-deutsche Kinder irgendwie keine Chance in diesem Kindergarten haben? In dem Kin dergartenbeispiel wird es bei den zeitraubenden Elternbesprechungen und Arbeitseinsätzen nicht lange dauern, bis eine Beteiligungselite übrigbleibt. Wer sich Engagement leisten kann, bestimmt über die mit, die nicht können oder wollen. Wer gehört zur `Gemeinschaft', zum `Gemeinwesen' oder auch bloß zum `Projekt' und wer nicht? Und wer entscheidet das? Im Konzept `Bürgerarbeit' werden die Mechanismen von Ausschluß und Ausgrenzung nicht nur bis in den gesellschaftlichen Mikrokosmos hinein verlängert und radikalisiert, sie werden auch informalisiert. Es entsteht ein `common sense' der ehrenamtlichen Aktivistlnnen, der letztlich durch deren Selbstinteresse definiert ist. Der `solidarische Individualismus' eines Ulrich Beck ist eben nicht gleichbedeutend mit gesamtgesellschaftlicher Verantwortung, die über das eigene Projekt, den eigenen Straßenzug oder das eigene Stadtviertel hinausdenkt. Die Mit telschichtsfixiertheit dieses Modells von `Gemeinwesenarbeit' korrespondiert auffällig mit der `Kommunitarismuswelle' und dem `Gemeinwesenegoismus' der weißen, wohlhabenderen Vorortbevölkerung US-amerikanischer Großstädte (auch WASP's genannt: White Anglo-Saxon Protestant). Hier wird das gutbürger liche `Gemeinwesen' nicht selten zur Festung, gesichert durch eine Mischung aus privaten Wachdiensten und sozialer Kontrolle; ein Effekt von `Gemeinwesenarbeit', mit dem auch Willfried Maier Kriminalität eindämmen möchte.

Daß im Rahmen der `Bürgerarbeit' auch der Standard der öffentlichen Aufgaben und Dienstleistungen sinkt, wird billigend in Kauf genommen: Welcher kommunale Kämmerer würde nicht z.B. bei den Bauvorschriften beide Augen zudrücken, wenn ihm eine Bürgerinitiative in Eigenarbeit einen Kindergarten vor die Türe stellt und er so die bundesgesetzliche Kindergartenplatzgarantie erfüllen kann! Willfried Maler will seine Gemeinwesenarbeit ausdrücklich als unbezahlte Arbeit mit niedriger Produktivität verstanden wissen. Auf die Arbeitsergebnisse käme es dabei gar nicht so sehr an. Inspiriert von Tauschringen und anderen Erscheinungen einer neuen informellen Überlebensökonomie, sollen in Eigenregie Produkte und Dienstleistungen erstellt und getauscht werden, die zwar nicht allen Qualitätsstandards entsprechen, dafür aber eben umsonst sind. Als Hamburger Stadtentwicklungssenator sieht er hier eine Alternative für die Unterversorgung großstädtischer Armutsquartiere. Deutlicher kann eine Vision von zwei Klassen sozialer und anderer Dienstleistungen nicht formuliert werden: Während diejenigen, die es sich leisten können, professionell erstellte, öffentliche Dienstleistungen kaufen können (z.B. gut ausgestattete und kompetente Pflegeeinrichtungen), werden die anderen auf die labilen Netze des informellen Sektors und auf Leistungen minderer Qualität verwiesen.


Der diskrete Charme der Pflichtarbeit

Beck, Maler, Tönnies, Rifkin u.a. stellen mit ihren Konzepten von Arbeit fürs Gemeinwohl den Bereich der Lohnarbeit selbstverständlich nicht in Frage. Für sie alle toll der Gemeinwohlsektor parallel neben dem Sektor hochproduktiver Lohn arbeit stehen und diesen ergänzen. Die Frage, die sich unmittelbar aufdrängt, ist: Wer soll die `Bürgerarbeit' leisten? `Menschen, die vorübergehend arbeitslos sind, Jugendliche vor der Berufsausbildung, Mütter nach dem Erziehungsurlaub, ältere Menschen im Übergang zur Rente', hat Ulrich Beck dabei im Sinn. Arbeitslose könnten sich in der `Bürgerarbeit' qualifizieren, den Makel der Arbeitslosigkeit verlieren und für Unternehmen wieder attraktiv werden. Über drei Millionen neue Jobs möchte er mit `öffentlicher Arbeit' schaffen, und auch alle anderen Apologeten der `Bürgerarbeit' wollen vorrangig Arbeitslosigkeit beseitigen.

Zumindest im freiwilligen Teil des Gemeinwohlsektor in der BRD wird dieses postmoderne Job-Wunder aber wohl kaum stattfinden. Wie bereits erwähnt, wird zwar in Vereinen, Wohlfahrtsverbänden, Kirchen und Initiativen in erheblichem Maße unbezahlte, ehrenamt liche Arbeit geleistet. Wie das DIW feststellt, aber nahezu ausschließlich komplementär zur Lohnarbeit, in der Freizeit. Wenn dieser Sektor also überhaupt Erwerbslose erreicht, dann noch am ehesten AkademikerInnen. Schon Becks Figur des `Gemeinwohlunternehmer' orientiert sich eher an einem Franz Beckenbauer, der sich ehrenamtlich der Kampagne `Keine Macht den Drogen' verschreibt, als an der Lebenssituation und den Bedürfnissen einer durchschnittlichen erwerbslosen Mutter oder eines Bezieher von Sozialhilfe. Je konkreter die Vorschläge zu einem Sektor `öffentlicher Arbeit' werden, desto mehr verlassen sie die luftigen Höhen mittelschichtsorientierter Ehrenamtlichkeit und landen in den Niederungen des realexistierenden staatlichen Arbeitsmarktes und der `gemeinnützigen Arbeit'.

Unter- und nichtbezahlte `Bürgerarbeit' wird von Erwerbslosen und SozialhilfeempfängerInnen heute in einer Vielzahl staatlicher Beschäftigungsmaßnahmen geleistet. Außer daß der `Lohn' in diesen Einrichtungen selten über dem Sozialhilfesatz liegt, haben alle Maßnahmen die Eigenschaft gemeinsam, daß sie mehr oder weniger verdeckte Zwangsveranstaltungen sind. Formal haben zwar auch Erwerbslose und SozialhilfeempfängerInnen das Recht, Arbeitsangebote abzulehnen, die Strafe folgt allerdings auf dem Fuße: Sperrzeiten beim Arbeitsamt und Kürzungen bei der Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Immer mehr Kommunen folgen den `Modellen' aus Leipzig und Lübeck und verpflichten BezieherInnen von Sozialhilfe zu sog. `gemeinnütziger Arbeit': Laubharken in öffentlichen Grünanlagen, Säuberung von Wegen, Straßen und Plätzen etc. für zwei DM die Stunde. Eine Weigerung kann die vollständige Einstellung von Sozialhilfezahlungen zur Folge haben. In Hamburg fordert die CDU Jahr um Jahr die Wiedereinführung dieser `gemeinnützigen Arbeit', und auch die SPD hat sich solchen Maßnahmen gegenüber auf ihrem letzten Landesparteitag aufgeschlossen gezeigt So kommt es nicht von ungefähr, wenn Stadtentwicklungasenator Maler in höchsten Tönen die Initiative eines Geschäftsmannes lobt, der SozialhilfeempfängerInnen um sich scharte, um gegen eine `geringe Aufwandsentschädigung' eine größere, öffentliche Grünfläche zu säubern. Für Willfried Maier ein Paradebeispiel für `Gemeinwesenarbeit' und eine `Bürgerinitiative neuen Typs'. Und mittlerweile kann auch das Arbeitsamt Erwerbslose zu gemeinnütziger Arbeit verdonnern: Im Kreis Nienburg müssen zur Zeit Erwerbslose zum Spargelstechen antreten. Ulrich Beck und auch Jeremy Rifkin werden nicht müde, die Freiwilligkeit von `Bür gerarbeit' zu betonen. Sie unterlassen es jedoch tunlichst, die rechtlichen Rahmenbedingungen des Bundessozialhilfegesetzes oder des Arbeitsüörderungsgesetzes in Frage zu stellen bzw. überhaupt zu thematisieren. In dem Maße aber, wie diese Tätigkeiten mit den sozialhilferechtlichen Instrumentarien umgesetzt werden sollen, kommen sie über den Status ordinärer `gemeinnütziger Arbeit' für SozialhilfeempfängerInnen nicht hinaus: freiwillig ja, aber unter der Drohung, bei Weigerung staatliche Leistungen zu entziehen.


Postmoderner Arbeitsdienst

Andere Befürworter dieser Konzeptionen von `Bürgerarbeit' sind in Sachen Arbeitspflicht weniger zimperlich. In dem `Drei-Schicht- Modell', das der ehemalige Manager Orio Giarini und der Wirt schaftsberater Patrick Liedtke für den Club of Rome entwickelt haben, werden Erwerbslosen und SozialhilfeempfängerInnen 20- Stunden-Jobs im sozialen Bereich zugeteilt. Sie werden zur Arbeit verpflichtet, um den Anspruch auf ein Mindesteinkommen zu erhalten. Die Bremer Sozisiwissenschaftlerin und Juristin Sibylle Tönnies propagiert ungeniert die Neuauflage eines Arbeitsdienstes. Es könne nicht angehen, so Frau Tönnies in der ZEIT, daß dieses Instrument ein für allemal durch die Erfahrungen des Nationalsozialismus diskreditiert sei. `Deutsche Jugend im Elend' lautet ihre Diagnose, und es müsse endlich Schluß sein mit falschen Randgruppenstrategien, die `das Normale verachten und das Pathologische bewundern'. Statt dessen müsse `Arbeit organisiert werden'. Und zwar nicht als einkommenssichernde Lohnarbeitsplätze, sondem als Pflicht zu unentlohnter Arbeit. Sie bezieht sich dabei ausdrücklich positiv auf Becks `Bürgerarbeit'.

Im Tönnies'schen Arbeitsdienst sollen vor allem Jugendliche auf der Basis der bereits jetzt möglichen `gemeinnützigen Arbeit' des Bundessozialhilfegesetz umsonst für das Gemeinwohl arbeiten und `Gemeinschaft erleben'. Postmodern heißt das Ganze dann nicht mehr `Arbeitsdienst', sondem `Erlebnisdienst', und statt Volkslieder am Lagerfeuer gibt's abends Disco. Ins selbe Horn stößt Hans-Eckehard Bahr, Leiter des Forschungsprojekts `Jugendgewalt und Stadtfrieden' (sic!) an der Ruhr-Universität Bochum. Er fordert ein verbindliches, soziales und ökologisches Engagement, denn `wissen wofür man lebt', ist die Losung der Stunde. Zivildienst und Soziales Jahr sind für ihn die Keimzellen `einer (zivilen) staatsbürgerlichen Dienstpflicht für Männer und Frauen.' Dem neuen Charme der Zwangsarbeit können bei soviel wissenschaftlicher Querdenkerei auch grüne PolitikerInnen nicht mehr widerstehen. So bringt der rechtspolitische Sprecher der bündnisgrünen Bundestagsfraktion, Volker Beck, die `gemeinnützige Zwangsarbeit' als strafrechtliches Sanktionsinstrument ins Gespräch (Die `work camps' US-amerikanischer Knäste lassen grü ßen!>. Und auch Willfried Maier möchte seine `Gemeinwesenarbeit' am liebsten als Pflichtdienst - mit einem `Ehrensold' - organisiert sehen. In der Arbeitspflicht für alle sieht Maler allen Ernstes die `Verwirklichung sozialistischer Organisationsprinzipien' und das Prinzip `Sozialismus statt Sozialstaat'.

Das Konzept der `Bürgerarbeit' oder `öffentlichen Arbeit' entpuppt sich gerade mit dem Versprechen, Arbeitslosigkeit beseitigen zu wollen, als eine Kampfansage an Erwerbslose, SozialhilfeempfängerInnen und Arme. Wenn Erwerbslosigkeit in erster Linie als gesellschaftliche und individuelle `Krankheit' interpretiert wird, wird `Arbeit an sich' zu einem therapeutischen Instrument. Es geht dann weder um individuelle Bedürfnisse, Einkommen, Arbeitsbedingungen, ArbeitnehmerInnenrechte usw., sondem nur noch um die therapeutische Beseitigung pathologischer Zustände. Arbeit oder, genauer, irgendeine Form von Beschäftigung wird so zu einem Beitrag der `Volksgesundheit'. Gleichzeitig zementiert die `Ge meinwohlarbeit' die Verpflichtung zum `Dienst an der Gemeinschaft' als Voraussetzung für staatliche Transferzahlungen. Selbst die minimalste Existenzsicherung muß erst einmal `verdient' werden. Es ist vor diesem Hintergrund wenig erstaun lich, daß `gemeinnützige Arbeit' als allgemeine Arbeitsverpflichtung gerade in den `Mutterländern' der `Bürgerarbeit', den USA und Großbritannien, zentraler Bestandteil der `Sozialhilfereformen' ist.


Schöner Schein der Emanzipation

Die Debatte um `Ehrenamtlichkeit' und `Bürgerarbeit' richtet sich explizit sowohl gegen das fordistische Normalarbeitsverhältnis als auch gegen den Sozialstaat keynesianischer Ausprägung. Dabei greift sie vordergründig durchaus Forderungen und Bedürfnisse emanzipatorischer Bewegungen auf. So etwa die Kritik der Frauen- und Erwerbslosenbewegung am herrschenden Arbeitsbegriff und der Lohnarbeitszentriertheit. Oder die Bedürfnisse nach selbstbestimmtem und kollektivem Arbeiten, die einmal aus dem Bereich der ,alternativen Ökonomie' und von Selbathilfeinitiativen gegen die kapitalistische Lohnarbeit formuliert worden sind. Und auch der keynesianische Sozialstaat wird ja aus guten Gründen von links als bürokratischer Kontrollstaat kritisiert. Selbst die Bismarcksche Sozialgesetzge bung ist ja nicht nur ein Zugeständnis an die Arbeiterbewegung gewesen. Sie war gleichzeitig ein Akt der Enteignung selbst organisierter und selbstverwalteter Versicherungskasten der ArbeiterInnenklasse. Im Konzept der `Bürgerarbeit' werden all diese Bedürfnisse und Ansprüche ihres emanzipatorischen Gehalts beraubt. Dieser Jargon pflegt die abstrakte Beschwörung von `Eigeninitiative' und `Selbsthilfe', um im Konkreten zum Wegbereiter für neue Billiglohnsektoren, Zwangsar beitsverhältnisse und den Abbau öffentlicher und sozialer Einrichtungen und Dienstleistungen zu werden.

Dk

Erschienen in und entnommen aus ak 414 (7.5.1998)

Zum kritisierten Gegenstand siehe the de001 manpage.